1. Einleitung: Der digitale Pulsschlag der Apotheke in Zeiten der Krise
Der Handverkaufstisch (HV) in der modernen Apotheke ist längst nicht mehr nur ein Ort der Beratung und Abgabe; er ist zu einer Schaltzentrale im Kampf gegen globale Lieferkettenprobleme geworden. Das Szenario ist jedem pharmazeutischen Personal in Deutschland schmerzlich vertraut: Ein Kunde legt ein Rezept vor – sei es für einen Antibiotikasaft für sein Kind oder ein lebenswichtiges Herzmedikament – und der erste Blick gilt nicht dem Kunden, sondern dem Bildschirm der Warenwirtschaft. In diesem Bruchteil einer Sekunde entscheidet eine unsichtbare technische Infrastruktur über den Erfolg der Versorgung. Das Stichwort lautet: Lieferbarkeitsprüfung Arzneimittel MSV / MSV3.
In einer Ära, in der Lieferengpässe die „neue Normalität“ darstellen und Apotheken durchschnittlich sechs bis zehn Stunden pro Woche allein für das Management fehlender Arzneimittel aufwenden müssen 1, ist die MSV3-Schnittstelle (Medium Speed Version 3) weit mehr als ein bloßes Übertragungsprotokoll. Sie ist die digitale Lebensader, die die öffentliche Apotheke mit dem vollversorgenden Großhandel verbindet. Doch während die Technik immer schneller und transparenter wird, wird die Realität der Warenverfügbarkeit immer komplexer und undurchsichtiger.
Dieser Report bietet eine erschöpfende Analyse der MSV3-Technologie, beleuchtet die dramatischen Hintergründe der aktuellen Lieferengpass-Statistiken des BfArM und zeigt auf, warum technische „Nein“-Antworten des Großhandels nicht das Ende der pharmazeutischen Bemühungen sein dürfen. Wir werden detailliert untersuchen, wie spezialisierte Datenlösungen – insbesondere die Eisbergsuche® und Datenbanken von pharmazie.com – die entscheidende Lücke schließen, die MSV3 technisch bedingt offenlassen muss.
Unser Ziel ist es, Ihnen als Apotheker, Filialleiter oder PTA nicht nur technisches Verständnis zu vermitteln, sondern konkrete, strategische Werkzeuge an die Hand zu geben, um Ihren Versorgungsauftrag auch in stürmischen Zeiten effizient und wirtschaftlich zu erfüllen. Wir analysieren die Konfiguration Ihrer Warenwirtschaft, die rechtlichen Fallstricke des ALBVVG und die Zukunft der KI-gestützten Beschaffung.
2. Die Evolution der Bestellung: Von MSV2 zu MSV3 – Ein technologischer Paradigmenwechsel
Um die heutige Bedeutung der Lieferbarkeitsprüfung Arzneimittel MSV / MSV3 vollständig zu erfassen, ist ein Blick auf die technologische Evolution notwendig. Der Wechsel von MSV2 auf MSV3 war nicht nur ein Versionssprung, sondern ein fundamentaler Systemwechsel, der die Arbeitsweise in deutschen Apotheken nachhaltig verändert hat.
2.1 Das Erbe von MSV2: Asynchrone Kommunikation und Unsicherheit
Bis in die frühen 2010er Jahre dominierte der Standard MSV2 (bzw. die klassische DFÜ via Modem oder ISDN) die Kommunikation zwischen Apotheke und Großhandel. Dieser Standard basierte auf einem asynchronen Kommunikationsmodell, das aus heutiger Sicht archaisch anmutet, aber Jahrzehnte lang stabil funktionierte.
Beim MSV2-Verfahren wurden Bestellungen in der Apotheke gesammelt – die berühmte „Wanne“ musste voll werden. Zu festgelegten Zeiten wählte sich das Modem der Apotheke beim Großhändler ein und übertrug eine Datei (Batch-Processing). Das Problem lag in der Zeitverzögerung:
-
Verzögerte Rückmeldung: Die Apotheke wusste zum Zeitpunkt der Bestellung am HV oft nicht verbindlich, ob die Ware tatsächlich lieferbar war. Die Rückmeldung kam erst zeitversetzt mit dem Lieferschein oder einer separaten Rückübertragungsdatei.
-
Bestellfenster-Starrheit: Bestellungen mussten oft bis zu einer strikten Uhrzeit (Cut-Off) eingegangen sein. Wer das Fenster um zwei Minuten verpasste, erhielt die Ware erst einen halben Tag später.3
-
Mangelnde Transparenz: Ein direkter „Blick ins Lager“ des Großhändlers war technisch nicht vorgesehen. Das System glich einer „Black Box“.
Diese Unsicherheit führte zu einem erheblichen administrativen Mehraufwand: Telefonische Nachfragen waren an der Tagesordnung, und das Personal musste Patienten oft vertrösten oder vage Versprechungen machen („Müsste eigentlich heute Nachmittag kommen“), die nicht immer gehalten werden konnten.5
2.2 Die Revolution durch MSV3: Synchrone Echtzeit-Abfragen
Mit der Einführung von MSV3 änderte sich die Architektur grundlegend. MSV3 basiert auf modernen Web-Services (XML über HTTPS), die über das Internet kommunizieren. Der entscheidende Unterschied ist die Synchronizität.
Wenn Sie heute in Ihrer Warenwirtschaft (sei es ADG, PHARMATECHNIK, NOVENTI, Mauve oder Vario) eine Verfügbarkeitsabfrage starten, geschieht Folgendes in Echtzeit:
-
Request (Anfrage): Ihr System sendet ein kleines Datenpaket (XML) an den Web-Service des Großhändlers.
-
Processing (Verarbeitung): Der Server des Großhändlers prüft live den physischen Lagerbestand, reservierte Kontingente und laufende Wareneingänge.
-
Response (Antwort): Innerhalb von Sekundenbruchteilen (meist unter 1 Sekunde) sendet der Server das Ergebnis zurück an Ihre Kasse.6
Diese Geschwindigkeit ermöglicht es, den Patienten noch während des Beratungsgesprächs verbindlich zu informieren. Es ist dieser technologische Sprung, der die Lieferbarkeitsprüfung von einem administrativen Nachgang zu einem zentralen Element des Verkaufsgesprächs gemacht hat.
Tabelle 1: Technologischer Vergleich MSV2 vs. MSV3
| Merkmal | MSV2 (Legacy) | MSV3 (Standard) | Implikation für die Apotheke |
| Kommunikation | Asynchron (Batch-Datei) | Synchron (Request/Response) | Sofortige Gewissheit am HV. |
| Übertragungsweg | ISDN / Modem (Punkt-zu-Punkt) | Internet (HTTPS / XML) | Unabhängigkeit von Telefonleitungen; Nutzung bestehender DSL-Infrastruktur. |
| Verfügbarkeitsprüfung | Oft erst bei Lieferschein-Rücklauf | In Echtzeit (Live-Abfrage) | Vermeidung von Fehlversprechungen an Patienten. |
| Bestellfenster | Starr, oft Blockabfertigung | Flexibel, kontinuierliche Übermittlung | Ware kann jederzeit nachbestellt werden (z.B. bei Notfällen). |
| Rückmelde-Detail | Begrenzt (Ja/Nein) | Detailliert (Liefertermin, Defekt, Nachfolger) | Bessere Entscheidungsbasis für Alternativen. |
| Sicherheit | Abhängig von Telefonnetz-Sicherheit | Verschlüsselt (SSL/TLS) + Authentifizierung | Höhere Datensicherheit gemäß DSGVO-Standards. |
3. Technische Deep-Dive: Funktionsweise und Konfiguration der MSV3-Schnittstelle
Für Apothekenleiter und IT-Beauftragte ist es essenziell zu verstehen, was „unter der Haube“ passiert. Eine fehlerhaft konfigurierte MSV3-Schnittstelle kann zu Umsatzverlusten und Frustration führen. Wir analysieren die technischen Komponenten basierend auf den Handbüchern führender Softwareanbieter.
3.1 Die Anatomie einer MSV3-Transaktion
Der Prozess einer Lieferbarkeitsprüfung Arzneimittel MSV / MSV3 folgt einem strikten Protokoll.
-
Authentifizierung: Jede Anfrage beginnt mit dem „Handshake“. Die Apotheke identifiziert sich gegenüber dem Großhandelsserver. Hierfür werden in der Warenwirtschaft (WaWi) spezifische Zugangsdaten hinterlegt:
-
Kundenkennung: Oft die BGA-Nummer (Betriebsgrößenabhängige Abrechnungsnummer) oder eine spezifische Kundennummer. Bei manchen Großhändlern wie Ebert & Jacobi ist dies eine Kombination aus Kundennummer und Niederlassungskennung (z.B.
03\0600014).10 -
Passwort: Ein vom Großhandel vergebenes, oft komplexes Passwort (z.B.
ORI+ BGA-Nummer bei Orifarm).11 -
Basis-URL: Die Adresse des Web-Services. Diese ist pro Großhändler spezifisch. Ein Fehler in dieser URL (z.B. Tippfehler oder veraltetes Protokoll) führt zu der gefürchteten Fehlermeldung „There was no endpoint listening at…“.10
-
-
Payload (Nutzdaten): Die Anfrage enthält die PZN (Pharmazentralnummer) und die gewünschte Menge. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen einer reinen Verfügbarkeitsanfrage (WVA) und einer Bestellung. MSV3 kann beides in einem Protokoll abbilden, was die Effizienz steigert.7
-
Logik der Rückmeldung: Der Großhandelsserver antwortet nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“. Die Antwortcodes sind differenziert:
-
Lieferbar: Menge voll verfügbar.
-
Teillieferung möglich: Nur X von Y Packungen verfügbar.
-
Defekt: Artikel nicht am Lager.
-
Nachfolger: Artikel außer Handel, aber Nachfolger-PZN verfügbar.
-
Dispo/Sonderbeschaffung: Artikel kann besorgt werden, dauert aber länger.
-
3.2 Software-Spezifika: Konfiguration in der Praxis
Die Implementierung von MSV3 variiert je nach Warenwirtschaftssystem. Ein tieferes Verständnis dieser Einstellungen ermöglicht es Apotheken, ihre Prozesse zu optimieren.
3.2.1 Mauve System3
Im Mauve System3 ist die Konfiguration besonders granular. Hier können Apotheken beispielsweise definieren, wie mit Austauschartikeln umgegangen werden soll.
-
Einstellung „Austauschartikel übernehmen“: Wenn diese Checkbox aktiviert ist, übernimmt das System bei einer Defekt-Meldung automatisch den vom Großhändler gemeldeten Nachfolgeartikel. Dies spart manuellen Eingriff, birgt aber das Risiko, dass ungewollt ein anderes Produkt bestellt wird, wenn nicht sorgfältig geprüft wird.10
-
Wabensteuerung (M-Wabensteuerung): Ein Highlight für größere Apotheken oder Versender. Bestellungen können so codiert werden, dass der Großhandel die Ware bereits für bestimmte Lagerorte („Waben“) vorsortiert. Die Rückmeldung der MSV3-Schnittstelle enthält dann Informationen, in welche Wanne die Ware gelegt wird, was den Wareneingang massiv beschleunigt.10
-
Bestellkaskade: Mauve erlaubt eine komplexe Kaskadierung. Meldet Lieferant A „Defekt“, geht die Anfrage automatisch und in Millisekunden an Lieferant B, dann C. Dies maximiert die Lieferfähigkeit gegenüber dem Patienten, ohne dass das Personal manuell neu bestellen muss.10
3.2.2 Vario 8
Vario betont die Dualität der Schnittstelle: Vario kann sowohl als MSV3-Client (Apotheke bestellt beim GH) als auch als MSV3-Server (Apotheke empfängt Bestellungen, z.B. von Kliniken oder anderen Apotheken) fungieren.6
-
Technische Hürden: Die Einrichtung des MSV3-Servers erfordert oft die Freigabe spezifischer Ports in der Firewall und das Starten einer
MSV3-Server.exemit Parametern. Dies zeigt, dass MSV3 auch eine IT-Sicherheitskomponente hat, die nicht vernachlässigt werden darf.6
3.2.3 Lauer-Fischer (WINAPO)
Hier wurde der Prozess stark integriert. Die klassische Trennung zwischen DFÜ-Auftrag und Verfügbarkeitsanfrage (WVA) wurde aufgehoben. Sobald „Über MSV3“ gewählt ist, ist die WVA implizit enthalten. Ein interessantes Feature ist der WCS-Server (WawiCommunicationService), der lokal installiert sein muss, um die Brücke zum Internet zu schlagen.7
3.3 Grenzen der Technik: Bulk-Abfragen und Zeitfenster
Trotz „Echtzeit“ gibt es Einschränkungen. Großhändler schützen ihre Systeme vor Überlastung.
-
Bulk-Limits: Wer tausende Artikel auf einmal abfragen will (z.B. für einen Webshop-Abgleich), stößt an Grenzen. NOWEDA beispielsweise erlaubt solche „Vollabgleiche“ oft nur in nachtschlafender Zeit zwischen 02:00 und 07:00 Uhr morgens und limitiert die Anzahl der Anfragen pro Tag.10
-
Wartungsfenster: Auch die beste Schnittstelle schläft manchmal. Wenn Großhändler ihre Datenbanken warten, laufen MSV3-Anfragen ins Leere. Eine intelligente Software puffert diese Anfragen oder leitet sie über die Kaskade um.
4. Die brutale Realität: Lieferengpässe in Zahlen und Fakten
Die technische Exzellenz von MSV3 trifft heute auf eine marktökonomische Realität, die von Mangel geprägt ist. Die Schnittstelle funktioniert perfekt – sie überbringt nur immer öfter schlechte Nachrichten.
4.1 Die Statistik des Mangels (2024/2025)
Die Daten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der ABDA zeichnen ein düsteres Bild. Im Jahr 2025 sind Hunderte von Wirkstoffen als versorgungsrelevant oder gar versorgungskritisch eingestuft.13
-
Versorgungsrelevante Wirkstoffe: Das BfArM führt über 500 Wirkstoffe auf dieser Liste. Kriterien sind unter anderem:
-
Marktanteil > 25%.
-
Verschreibungspflicht.
-
Relevanz für lebensbedrohliche oder progrediente Erkrankungen.13
-
-
Versorgungskritische Wirkstoffe: Eine Teilmenge der relevanten Stoffe. Hier ist die Lage akut. Beispiele sind Antibiotika (Erythromycin, Clindamycin Säfte für Kinder), die bis Mitte 2025 als „eingeschränkt verfügbar“ gemeldet sind.13
Ein Blick auf die ATC-Klassen (Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifikation) zeigt, wo der Schuh drückt: Rund 80% der Engpassmeldungen entfallen auf die Klassen N (Nervensystem), J (Antiinfektiva), C (Kardiovaskuläres System) und L (Antineoplastische Mittel).14 Das bedeutet: Es fehlen nicht Lifestyle-Produkte, sondern essenzielle Medikamente für Krebspatienten, Kinder mit Infektionen und chronisch Kranke.
4.2 Der Unterschied zwischen „Lieferengpass“ und „Versorgungsengpass“
In der politischen Diskussion wird oft differenziert:
-
Lieferengpass: Eine Unterbrechung der Auslieferung > 2 Wochen oder eine Nachfrage, die das Angebot übersteigt. Dies muss (noch) keine Auswirkung auf den Patienten haben, wenn Alternativen vorhanden sind.15
-
Versorgungsengpass: Die Situation eskaliert. Es steht keine therapeutisch gleichwertige Alternative zur Verfügung. Der Patient bleibt unversorgt oder muss auf eine suboptimalere Therapie umgestellt werden.
Für die Apotheke am HV fühlt sich jedoch jeder Lieferengpass wie ein kleiner Versorgungsengpass an, da er massiven Arbeitsaufwand auslöst. Die MSV3-Schnittstelle meldet „Defekt“, und die Maschinerie beginnt zu laufen.
4.3 Die ökonomische Last der Apotheken
Das Management dieser roten MSV3-Rückmeldungen ist zu einem der größten Kostentreiber in der Apotheke geworden.
-
Zeitaufwand: Apotheken wenden im Durchschnitt über 6 Stunden pro Woche (Stand 2023/2024) nur für das Lieferengpassmanagement auf. In Spitzenzeiten und bei großen Apotheken steigt dieser Wert auf über 10 Stunden.1
-
Honorierung: Die gesetzlich eingeführte „Engpass-Pauschale“ von 50 Cent pro Fall wird von der ABDA und den Apothekern einhellig als unzureichend kritisiert. Sie deckt nicht annähernd die Personalkosten für die Recherche, die Rücksprache mit dem Arzt und die Dokumentation ab.1
5. Wenn MSV3 „Nein“ sagt: Die Grenzen der Logistik-Schnittstelle
MSV3 ist ein Werkzeug der Logistik, kein Werkzeug der Pharmazie. Es beantwortet die Frage: „Ist PZN X im Regal Y bei Großhändler Z?“. Es beantwortet nicht: „Wie helfe ich dem Patienten, wenn PZN X nirgends ist?“.
5.1 Das Phänomen der „Phantom-Bestände“ und Kontingente
Ein häufiges Frustrationsmoment für das Apothekenpersonal ist die Diskrepanz zwischen MSV3-Anzeige und Realität.
-
Kontingentierung: Hersteller und Großhändler rationieren knappe Ware (z.B. GLP-1-Agonisten oder bestimmte Antibiotika), um eine faire Verteilung zu sichern oder Hamsterkäufe zu unterbinden.
-
Die Folge: Die MSV3-Schnittstelle meldet „Defekt“ oder „0 verfügbar“, obwohl physisch Ware im Lager des Großhändlers liegt. Diese ist jedoch für die spezifische Apotheke (aufgrund ausgeschöpfter Tages-/Wochenquote) gesperrt.15
-
Der Workaround: Hier hilft oft nur der Griff zum Telefon („Bettelanruf“ beim Großhändler) oder die Nutzung spezieller Hersteller-Portale („Transparente Warenversorgung“), die am MSV3 vorbei operieren. Dies bricht den digitalen Workflow und kostet wertvolle Zeit.
5.2 Die Informationslücke
Wenn die Kaskade durchlaufen ist und alle drei Großhändler „Defekt“ melden, steht die Apotheke vor einer Informationslücke. Die Warenwirtschaft kann standardmäßig nicht wissen:
-
Ist das Präparat im EU-Ausland verfügbar (Einzelimport)?
-
Gibt es eine pharmazeutisch sinnvolle Alternative, die nicht in der Aut-idem-Liste steht, aber (nach Rücksprache mit dem Arzt) abgegeben werden könnte?
-
Sind Rohstoffe für eine Defektur verfügbar?
Genau an diesem Punkt endet die Kompetenz der MSV3-Schnittstelle – und die Stunde der Datenintelligenz schlägt.
6. Lösungsstrategien: Wie pharmazie.com die Versorgung rettet
Wenn die Logistik (MSV3) versagt, muss das Wissen (Datenbank) übernehmen. pharmazie.com hat sich als unverzichtbarer Partner etabliert, um genau diese Lücke zwischen „Nicht lieferbar“ und „Patient versorgt“ zu schließen. Die Integration von externer Datenintelligenz in den Apothekenalltag ist heute kein Luxus mehr, sondern Notwendigkeit.
6.1 Die Eisbergsuche®: Finden, was anderen verborgen bleibt
Die klassische Suche in Warenwirtschaftssystemen ist oft starr. Man sucht nach PZN oder exaktem Namen. Bei einem Engpass hilft das wenig, wenn das gesuchte Produkt marktweit fehlt.
Die Eisbergsuche® von pharmazie.com verfolgt einen radikal anderen Ansatz. Sie ist eine semantische Suchmaschine, die über 25 Datenbanken gleichzeitig durchforstet.20
-
Warum „Eisberg“? Weil die PZN nur die Spitze ist. Darunter liegen 90% der relevanten Informationen: Wirkstoffgruppen, Indikationen, internationale Handelsnamen, Hilfsstofflisten, ehemalige Handelsnamen.
-
Praxis-Beispiel: Sie suchen „Amoxicillin Saft Kinder“. Die MSV3 meldet für alle deutschen Standard-PZNs „Defekt“. Die Eisbergsuche findet jedoch sofort:
-
Importfähige Präparate aus dem EU-Ausland.
-
Präparate mit gleicher Wirkstärke, aber anderer Packungsgröße (die dank ALBVVG nun oft abgegeben werden dürfen).
-
Alternative Darreichungsformen (z.B. dispergierbare Tabletten), die für Kinder geeignet sein könnten.
-
Dieses Tool transformiert den Apotheker vom „Verwalter des Mangels“ zum „Lösungsfinder“. Anstatt dem Patienten zu sagen „Gibt es nicht“, können Sie sagen: „Das Standardpräparat fehlt, aber ich habe eine Lösung gefunden.“
6.2 Datenbankgestützte Substitutionsprüfung und Importe
Der Import nach § 73 Abs. 3 AMG ist oft der letzte Rettungsanker. Doch er ist bürokratisch und riskant, wenn man die falschen Daten hat.
-
Internationale Daten: pharmazie.com bietet Zugriff auf 120.000+ internationale Präparate. Sie sehen sofort, wie das benötigte Medikament in Frankreich, Spanien oder Italien heißt und wer der Zulassungsinhaber ist.22
-
Sicherheit: Durch den Abgleich von Wirkstoffen und Konzentrationen in der Datenbank minimieren Sie das Risiko von Medikationsfehlern bei fremdsprachigen Packungen.
6.3 API-Integration: Daten dort, wo sie gebraucht werden
Für fortschrittliche Apotheken, Krankenhausapotheken und Versender bietet pharmazie.com leistungsstarke APIs (Schnittstellen) an.23
-
Das Problem: „Datenfragmentierung“. Der Apotheker muss zwischen WaWi, Browser-Fenster (BfArM Liste), Großhändler-Portal und Fachinfo-Service hin- und herspringen.
-
Die Lösung: Die API zieht die Daten von pharmazie.com (Preise, Verfügbarkeits-Alternativen, internationale Daten) direkt in die eigene Software-Umgebung.
-
Vorteil: Die Prüfung auf Alternativen passiert nahtlos im Workflow. Wenn MSV3 „Defekt“ meldet, könnte die Software dank API sofort die passende internationale Alternative vorschlagen. Das spart täglich bis zu 30% Zeit im Beschaffungsprozess.21
6.4 Preisvorteile durch Datenvorsprung
Ein oft unterschätzter Aspekt ist das Preismonitoring. pharmazie.com stellt aktuelle Preisdaten oft 3-5 Tage vor dem offiziellen Stichtag zur Verfügung.22
-
In einem Markt, in dem Lagerwerte durch Preisabsenkungen vernichtet werden können, ist dieser Informationsvorsprung bares Geld wert.
-
Sie können Lagerbestände vor einer Preissenkung abverkaufen oder Bestellungen zurückhalten, bis der Preis fällt.
7. Rechtliche Rahmenbedingungen und der sichere Austausch
Technik und Daten müssen in einem rechtssicheren Rahmen angewendet werden. Der Gesetzgeber hat mit dem ALBVVG (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz) versucht, die Fesseln der Bürokratie zu lockern.18
7.1 Die neuen Freiheiten am HV (und ihre Grenzen)
Das ALBVVG hat die Austauschregeln (§ 129 Abs. 2a SGB V) modifiziert.
-
Definition der Nichtverfügbarkeit: Ein Arzneimittel gilt als nicht verfügbar, wenn es innerhalb einer angemessenen Zeit durch zwei unterschiedliche Verfügbarkeitsanfragen bei vollversorgenden Großhandlungen nicht beschafft werden kann.18
-
Hier wird die MSV3-Schnittstelle zum juristischen Beweismittel! Eine bloße Annahme reicht nicht. Die zwei negativen MSV3-Abfragen (dokumentiert im WaWi-Protokoll) sind die Bedingung für den Austausch.
-
-
Austauschmöglichkeiten: Sind die zwei Abfragen negativ, darf die Apotheke (ohne Rücksprache mit dem Arzt, sofern nicht anders verordnet) austauschen gegen:
-
Ein wirkstoffgleiches Präparat (auch wenn es nicht rabattiert ist).
-
Eine andere Packungsgröße (sofern Gesamtmenge nicht überschritten).
-
Eine andere Wirkstärke (sofern teilbar/anpassbar, Vorsicht geboten!).
-
Teilmenge aus einer größeren Packung (Auseinzeln).
-
7.2 Retaxations-Schutz durch Dokumentation
Die Angst vor Retaxationen (Vergütungskürzungen durch Krankenkassen) ist der ständige Begleiter der Apotheke.
-
Beweislast: Im Streitfall muss die Apotheke beweisen, dass das Mittel nicht lieferbar war.
-
Strategie: Nutzen Sie die Protokollfunktionen Ihrer Software in Kombination mit Screenshots oder Ausdrucken der Defekt-Meldungen.
-
Zusatz-Sicherheit: Wenn Sie eine Alternative basierend auf den Daten von pharmazie.com abgeben (z.B. einen Import), dokumentieren Sie die Quelle. Die Nutzung valider, anerkannter Datenbanken stärkt Ihre Position bei einer Prüfung, da Sie nachweisen können, dass Sie mit fachlicher Sorgfalt gehandelt haben.
7.3 Die Rolle der Defektur
Wenn kein Fertigarzneimittel verfügbar ist, erlaubt das Gesetz die Eigenherstellung (Defektur/Rezeptur).
-
Dies wurde insbesondere während der Fiebersaft-Krise massiv genutzt.24
-
Das ALBVVG hat auch hier Erleichterungen geschaffen, z.B. bei der Preisbildung für diese Notfall-Rezepturen.
-
Auch hier unterstützen Datenbanken (wie die von pharmazie.com) bei der Suche nach Ausgangsstoffen und validierten Herstellungsvorschriften.
8. Workflow-Optimierung: Best Practices für das Apothekenteam
Wie sieht der optimale Prozess aus, der MSV3 und Datenbank-Recherche verbindet?
- Schritt 1: Automatisierte MSV3-Kaskade
Konfigurieren Sie Ihre WaWi so, dass bei „Defekt“ automatisch alle hinterlegten Großhändler (Haupt- und Nebenlieferanten) abgefragt werden. Nutzen Sie die Verbundlieferung-Optionen, um auf Zentrallager zuzugreifen.
- Schritt 2: Die „Eisberg“-Prüfung
Ist die Kaskade erfolglos, wechseln Sie sofort zu pharmazie.com (via Browser oder API). Suchen Sie nicht nur nach der PZN, sondern nutzen Sie die semantische Suche für Alternativen (Importe, andere Stärken).
- Schritt 3: Arzt-Rücksprache (qualifiziert)
Rufen Sie den Arzt erst an, wenn Sie eine Lösung haben. Sagen Sie nicht: „Wir haben XY nicht.“ Sagen Sie: „XY ist nicht lieferbar, aber ich habe hier Präparat Z (Import aus Frankreich) oder Präparat W (andere Stärke), das verfügbar ist. Darf ich das abgeben?“
-
Dies spart Zeit und positioniert Sie als kompetenten Heilberufler.
-
- Schritt 4: Dokumentation
Setzen Sie das Sonderkennzeichen auf das Rezept und speichern Sie den MSV3-Defektbeleg im Vorgang.
- Schritt 5: Proaktives Patienten-Management
Nutzen Sie Funktionen wie die Verfügbarkeitsbenachrichtigung 25 in Ihrer Software, um Patienten automatisch per SMS/Mail zu informieren, wenn ein Defekt-Artikel wieder lieferbar ist (z.B. durch automatische Nachabfragen im Hintergrund).
9. Zukunftsausblick: KI, Predictive Ordering und politische Weichenstellungen
Die MSV3-Schnittstelle ist stabil, aber sie ist eine Technologie der Gegenwart. Die Zukunft gehört der Prädiktion.
-
KI und Predictive Ordering: Softwareanbieter und Großhändler arbeiten an Algorithmen, die Engpässe vorhersagen, bevor sie entstehen. Basierend auf globalen Daten, saisonalen Trends (Grippewelle) und lokalen Abverkäufen könnte das System vorschlagen: „Bevorraten Sie jetzt Amoxicillin, die Wahrscheinlichkeit eines Engpasses in 14 Tagen liegt bei 80%.“.26
-
MSV4? Die Diskussion um Nachfolgestandards läuft. Wünschenswert wäre eine Schnittstelle, die nicht nur Bestände prüft, sondern auch Metadaten zu zukünftigen Lieferterminen präziser überträgt („Lieferbar ab TT.MM.JJJJ“ mit hoher Wahrscheinlichkeit) oder Bestände von vernetzten Partnerapotheken anzeigt.
-
Politik: Die Diskussion um „Lieferengpass vs. Versorgungsengpass“ wird weitergehen. Es ist zu erwarten, dass die Meldepflichten für Hersteller weiter verschärft werden und die Datenbasis (BfArM-Listen) noch zentraler in die Apothekensoftware integriert wird.18
10. Fazit: Die Kombination macht den Unterschied
Die Lieferbarkeitsprüfung Arzneimittel MSV / MSV3 ist eine technische Meisterleistung, die den Apothekenalltag enorm beschleunigt hat. Sie bietet Transparenz und Geschwindigkeit. Doch in einer Welt der globalen Mangelverwaltung stößt reine Logistik an ihre Grenzen.
Ein rotes „Nicht lieferbar“ auf dem Bildschirm darf nicht das Ende der pharmazeutischen Bemühung sein. Es ist der Startschuss für die eigentliche Arbeit des Apothekers: Die Suche nach Lösungen.
Apotheken, die heute erfolgreich durch die Krise navigieren, setzen auf eine doppelte Strategie:
-
Maximale technische Optimierung: Perfekt konfigurierte MSV3-Schnittstellen, Kaskaden und Wannensteuerungen.
-
Maximale Datenkompetenz: Nutzung von externen, tiefgehenden Datenbanken wie pharmazie.com, um Alternativen zu finden, die der Standard-Algorithmus übersieht.
In der Kombination aus blitzschneller MSV3-Technik und der tiefen pharmazeutischen Intelligenz der Eisbergsuche® liegt der Schlüssel zur Versorgungssicherheit. Sie sparen Zeit, reduzieren Stress im Team und – das Wichtigste – Sie versorgen Ihren Patienten, auch wenn die Ampel eigentlich auf Rot steht.
11. FAQ – Häufig gestellte Fragen
Warum zeigt mein System „Lieferbar“ an, aber die Bestellung wird trotzdem nicht geliefert?
Antwort: Dies liegt oft an der Diskrepanz zwischen der Bestandsanzeige und der tatsächlichen Zuteilung. Bei kontingentierten Artikeln (z.B. Impfstoffe, GLP-1) kann physisch Ware im Lager sein (MSV3 sieht „Bestand > 0“), aber Ihr persönliches Kontingent ist erschöpft. Zudem kann es in den Millisekunden zwischen Abfrage und Bestellung zu einem „Zwischenverkauf“ an eine andere Apotheke kommen.
Was ist der Unterschied zwischen einer MSV3-Anfrage und einer Bestellung?
Antwort: Technisch sind es ähnliche Datenpakete. Eine Verfügbarkeitsanfrage (WVA) ist unverbindlich und prüft nur den Status. Eine Bestellung reserviert die Ware verbindlich und löst den Logistikprozess (Kommissionierung, Lieferschein) aus. In modernen Systemen (wie Lauer-Fischer) sind die Grenzen oft fließend integriert.
Kann ich MSV3 auch für Direktbestellungen beim Hersteller nutzen?
Antwort: Ja, sofern der Hersteller eine MSV3-Schnittstelle anbietet (was zunehmend der Fall ist, z.B. im Klinikbereich via CGM). Viele Hersteller nutzen jedoch noch eigene Portale oder EDI-Schnittstellen. Für die breite Masse der Apothekenbestellungen läuft MSV3 primär über den Großhandel (Phagro).
Hilft mir pharmazie.com, wenn ich eine Retaxation wegen eines Austauschs erhalte?
Antwort: Indirekt ja, und zwar massiv. Mit den historischen Daten und den umfassenden Informationen zu Verfügbarkeiten und Alternativen können Sie Ihren Einspruch fachlich fundiert begründen. Der Nachweis, dass Sie zum Zeitpunkt der Abgabe basierend auf validen Daten die bestmögliche Alternative gewählt haben, ist oft entscheidend.
Welche Voraussetzungen brauche ich für MSV3?
Antwort: Eine stabile Internetverbindung (DSL/Glasfaser), ein MSV3-fähiges Warenwirtschaftssystem (haben heute praktisch alle Anbieter) und die Zugangsdaten (BGA/Kunden-Nr. + Passwort) Ihrer Großhändler. Eine gesonderte Hardware (Modem) wie bei MSV2 ist nicht mehr nötig.

